Bauer Willi
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Sauerteig – warum Sauerteig?

Über Twitter habe ich Andreas Sommers kennengelernt. Er ist Ernährungsberater und seine Leidenschaft ist Brot. Und so lautet dann auch seine Homepage.  www.Leidenschaft-Brot.de

Er versteht aber auch etwas von Mikrobiologie. Und von der Geschichte des Getreides. Wir haben bei unserem ersten Telefonat gleich eine gemeinsame Wellenlänge gehabt und ich habe ihn gebeten, einen Text über das Brot zu schreiben. Irgendwo zwischen “kurz und knackig” und “gepflegter Klugscheisser” (bzw. Fachvortrag)… Ich habe auf jeden Fall eine Menge dazugelernt. (Injera, Teff, Spucke…) Ich bin mir sicher, dass wird nicht der letzte Artikel sein, den Andreas hier veröffentlicht.

Viele Menschen entdecken in diesen Tagen das Brotbacken für sich. Möglichst natürlich sollte es sein, nachhaltig und gesund. Da kommt man schnell zum Sauerteig. Schaut man dann in die unüberschaubare Menge an Einträgen im Web, wird es ziemlich unübersichtlich. Auch Brotbackbücher bringen hier wenig Klarheit. Lange Teigreife – schon klar – aber 2 Stunden? 12? 24? Etwas Hefe dazu? Bei welcher Temperatur? In welchem Verhältnis?

Die Menschen nutzen Sauerteige schon seit über 10.000 Jahren. Die ältesten bekannten Sauerteigbrote finden sich noch heute in Äthiopien, das Injera. Das Injera ist ein Hirsebrot, vorzugweise aus einer Zwerghirse, dem Teff. Die Hirse gehört zur Familie der Poacea, den Süßgräsern, die in unserem Sprachgebrauch allgemein als Getreide bezeichnet werden. Es handelt sich hier um ein sehr erfolgreiches Lebewesen, das sich wie die meisten Pflanzen, seit Jahrmillionen über die ganze Erde verbreitet hat. Es sind die Produzenten unseres Planeten, machen sie ihn durch ihre Sauerstoffproduktion doch erst für uns (wir Menschen gehören zu den Schmarotzern zweiter Ordnung) lebensmöglich. Diese Lebewesen haben sehr ausgefeilte Fortpflanzungsmechanismen entwickelt. So nutzen viele Pflanzen die aufkommenden Schmarotzer, also z.B. Tiere, die davon leben Pflanzen zu essen, um sich fortzupflanzen. Das Tier frisst die Früchte und kackt den Samen wieder aus. So wird der Samen verbreitet und bekommt auch gleich den Humus dazu. Bei den Poacea läuft das anders, sie haben die Grannen, ein langes Haar mit Widerhaken am Samen, entwickelt. Ist der Samen reif, sitzt er nur noch locker am Halm, ein Tier streift vorbei, das Samenkorn bleibt im Fell hängen und wird so verbreitet. Dieses Samenkorn trägt alles in sich, um einen neuen Lebenszyklus zu beginnen. Hochwertige Fette im Keim, Zucker in Form von Stärkemolekülen für den ersten Start ins Leben, Proteine als Baustoffe. So kann die keimende Pflanze sich entwickeln, bis sie sich durch Photosynthese selber ernähren kann. Gerade diese Starthilfe ins Leben macht die Samen auch für uns ewig hungrige Schmarotzer interessant. Aber anders als bei den Früchten vieler Pflanzen möchte Getreide nicht gefressen werden!

 

Die Poacea ist eine sehr wehrhafte Pflanzenfamilie. Sie hat verschiedenste sekundäre Pflanzenstoffe gebildet, die als Fraßgifte fungieren. Sie versucht so ihren Fraßfeinden den Appetit zu verderben. Nehmen wir die Hirse als Beispiel. In der Samenschale bildet sie Blausäure und die ist bekanntermaßen auch für uns Menschen giftig. Wie konnte sie sich dann zu einem der ältesten Kulturgetreide entwickeln? Heute wird die Hirse geschält, leider um den Preis, dass viele der wichtigen Mineralstoffe so verloren gehen. Nun war das Schälen in der Steinzeit noch nicht probat. Man zerrieb das Korn auf Reibsteinen, setzte Wasser hinzu und nun? In der Wärme der Subtropen setzten nun verschiedene mikrobielle und enzymatische Prozesse ein. Schnell wird der hungrige Mensch erkannt haben, dass wenn er diesen Brei ein, zwei Tage stehen lässt, er deutlich bekömmlicher wird. Durch Hineinspucken kann man diesen Prozess noch beschleunigen.

Die Teigsäuerung ist erfunden. Sauerteige sind also nicht in erster Linie als alternatives Backtriebmittel zu verstehen, sondern sind essentiell für die richtige Zubereitung von Getreide zu einem wertvollen Lebensmittel. Gliadine, Mycotoxine, Thymole, Phytinsäure und viele, viele Stoffe mehr werden abgebaut, denaturiert, verändert. Die Mikrobiologie lebt vom Zucker. Lässt man die Mikrobiologie des Sauerteiges also lange genug arbeiten, sind alle niedermolekularen Zucker aufgezehrt (wichtig vor allem auch für Diabetiker). Es kommt beim Arbeiten mit Sauerteigen also weder auf Grammgenauigkeit, exakte Temperaturen noch die richtige Mondphase an, sondern man braucht einfach nur Zeit. Klingt wenig spektakulär, aber geben Sie Ihren Brotteigen, vorzugsweise mit Sauerteig geführt, einfach nur Zeit. Riechen Sie, schmecken Sie, ist der Teig gesäuert? Dann kann er in den Backofen. Die ägyptischen Hausfrauen hatten vor 6000 Jahren weder 10tel Grammwagen, Bratenthermometer noch Stoppuhr zu Verfügung, dafür hätten sie auch gar keine Zeit gehabt. Heute wurde der Teig angesetzt, mit dem gesäuerten Teigrest vom letzten Backen versetzt, bis zum nächsten Tag stehen gelassen und dann Brot gebacken. Ganz einfach!

Übrigens, das mit der Spucke, das funktioniert auch heute noch. Die im Speichel enthaltene Amylase hilft dabei, Stärkemoleküle zu Zuckern zu spalten und so der Mikrobiologie noch mehr Nahrung zur Verfügung zu stellen.

In diesem Sinne – guten Appetit!

Übrigens: Die Ähre auf dem Titelbild ist Emmer.

(Aufrufe 2.352 gesamt, 1 heute)

22 Kommentare

  1. Inga sagt

    und?
    Ist gelungen, oder?

    Das Ferment im Speichel ist ja die erste Verdauungsgang und spaltet das Mehl in der ersten Stufe zu Zucker um.
    Manche können das auch schmecken.

    Und dann, wenn man es nicht im Zwölffingerdarm zu Traubenzucker (Einfachzucker) weiter Verarbeitet,verdaut wird, dann fängt es an zu gären, wie in der Schüssel zu seh4en ist.

    ‘Und lockert den Teig, der mit6 Hinzugabe von Mehl entstanden ist, in dem er lauter kleine Luftlöcher darin entsteh4en lässt.

    Diese Luftlöcher sind von Teig umgeben,
    schiebt man den aufgegangen lockeren Teig mit vielen Luftlöchern in den heißen Ofen, was macht dann der Teig?
    Er stockt und gerinnt, wie das Eiweiß im Hühnerei unter Hitzeeinfuß (kochen)
    Also wird zu einem Ge4rüst rum um dass Luftloch!

    Heutzutage sagt man fluffig dazu!
    Wenn dass Brot ausgebacken ist,
    ist es durch die Luftlöcher fluffig geworden.

  2. Martin Kunze sagt

    Das mit Spucke kann gut gehen, muss aber nicht. In unserer Spucke befinden sich Bakterien, die gern auch mal eine Fehlgärung machen, also die “guten” Hefepilze und Bakterien ermorden und den Teigansatz kapern. Um etwas neues zu erfinden, kann es gut sein, so etwas auszuprobieren (so hat Fleming das Penicillin erfunden, er hat etwas falsch gemacht).
    Wenn man einen bewährten Weg hat, sollte man alle Parameter auch wieder einhalten.

  3. knuffel sagt

    In der Vielfalt der Ernährung liegt das Geheimis einer gesunden Lebensweise.
    Alle Einseitigen Dinge führen zu Schäden.

  4. Inga sagt

    ” Die Mikrobiologie lebt vom Zucker. Lässt man die Mikrobiologie des Sauerteiges also lange genug arbeiten, sind alle niedermolekularen Zucker aufgezehrt (wichtig vor allem auch für Diabetiker).”
    Gut

    und was gilt für Glutenunverträglichkeit?
    das:
    ” sind essentiell für die richtige Zubereitung von Getreide zu einem wertvollen Lebensmittel. Gliadine, Mycotoxine, Thymole, Phytinsäure und viele, viele Stoffe mehr werden abgebaut, denaturiert, verändert. ” ???

    • Bei der Teigsäuerung werden die Proteine der Glutengruppe nicht verändert. Daher gilt bei Zöliakie keine der drei Getreidefamilien (triticale, cereale, hordeum) die Gluten enthalten verzehren.

  5. Smarti sagt

    Danke für diesen spannenden Artikel. Sauerteigbrot werde ich jetzt auch mal ausprobieren. Oma macht alle zwei Wochen 12 Weissbrote mit Hefe im Brotbackofen.

      • Paulus sagt

        Tja Inga, wie sieht ein Brotbackofen aus? Eine Freundin von uns, die sich mit alten Rezepten beschäftigt nutzt dazu einen alten Herd . Den haben wir noch auf unserem bescheidenen Landsitz. Ist ganz einfach (oder auch nicht), links wird gestochert und rechts befindet sich der Backofen. Nix mit Temperatureinstellung, irgendwelchen Programmen und so. Die liebe Editha kocht zwar einfach, gemessen an der Arbeitszeit aber extrem aufwändig. Für ihre köstlichen Brote benötigt sie schon ein verlängertes Wochenende.

        Die Herde nach alter Väter Sitte kann man übrigens noch kaufen, in einem exclusiven Geschäft in Malmedy. Die kosten allerdings mehr als eine komplette Küche im gemeinen Möbelhandel.
        Ist aber alles Killefit, der moderne Mensch hat einen Thermomix. Das Ding kann einfach alles.

      • Die ersten Backöfen waren höchstwahrscheinlich die Ägyptischen Tunnelöfen. Einach ein Gewölbe ohne Abzug in dem man Holz verbrannte (oder auch Tierdung, je nachdem was verfügbar war). War es runtergebrannt, kamen die Brote wohl in Fladenform in den Tunnel, ein Stein wurde davor gerollt und nach bestimmter Zeit wieder geöffnet.

        • Inga sagt

          Dann mußten die schon einen gewissen Stein gefunden haben, womit die Öfen gemauert wurden,
          die ja auch nach dem Verbrennen des Holzes die Hitze hielten, oder?

          Bei unseren Backhäusern soll das auch so gewesen sein.
          Ich dachte immer, unter dem Backraum, wäre der Brennraum!

          aber nein:
          Das Backen hatte früher eine ganz besondere Bedeutung; Brot war das Hauptnahrungsmittel. Nahezu jede Familie, die ausreichend Mehl zur Verfügung hatte, buk ihr eigenes Brot. Der Sauerteig-Brotteig wurde zu Hause zubereitet, zu Laiben geformt und auf Backbrettern zum Backhaus getragen. Die Reihenfolge, wer wann backen durfte, wurde durch Auslosung eine Woche vorher bestimmt und auf einer Tafel im Backhaus angeschrieben. Auch der sonntägliche Kuchen (meist der sogenannte Blechkuchen) wurde hier am Samstag gebacken, wenn man ihn nicht vom Bäcker backen ließ. Bis hinein in die 1960er Jahre waren die Backhäuser noch in regem Gebrauch. Danach legte man sie still, sie verfielen und wurden abgerissen, bis auf die nachstehenden Ausnahmen.

          • Ehemaliger Landwirt sagt

            Bei uns haben noch viele Betriebe solche Backöfen, wo das eigene Brot gebacken wird, für Hofläden ist es ein muss, das Holzofenbrot zieht Kunden an.

            Die Öfen wurden mit vollen Ziegelsteinen gebaut.
            Im Backraum wird Holz verbrannt, bis der Ofen die Temperatur hat, dann werden die Reste mit einem nassen Besen aufgewischt, dann kommt der Teig in den Ofen, da passen bis zu 30 Laibe hinein. Backhäuser für die Allgemeinheit gab es in meinem Dorf noch nie.

        • Die Menschen waren findig. Schon am Lagerfeuer haben die Nomaden ihre Fladen auf heißen Steinen ausgebacken. Die Esserner ihre Fladen auf sonnenerhitzten Steinen (klar in der Wüste ist das auch möglich, in Norddeutschland weniger). Die Wikinger nahmen einen großen Findling (eiszeitlicher Geröllstein) und bauten mit Zweigen ein Gewölbe darüber, das wurde dann mit Lehm verkleidet. Reichte für 3-4 x Backen. Ich habe während meines Studiums das Backhaus des ehemaligen Kräuterpark Stolpe betrieben. Ein direkter Angelner Ofen mit hoher Kuppe. Ein Gemeinschaftsbackhaus (Nachbau) findet sich z.B. auf Eiderstedt in St. Peter Ording

  6. Inga sagt

    Was früher die Frauen alles entdeckten?
    Das Getreide haben sie ja auch aus Gras heran gezüchtet!

    • Annick sagt

      Den Hermann hab ich seit knapp 40 Jahren immer im Tiefkühlfach und von Zeit zu Zeit wird er rausgeholt 😉

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