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Ich beneide euch so…

Palla aus dem Alpenvorland  trennt sich gerade von ihrem Milchvieh. Es ist ihr und ihrer Familie nicht leicht gefallen. Was sie aber nachdenklich macht, ist ihr Gespräch mit einer Nachbarin. Ein Einblick in eine Familiengeschichte, die unter die Haut geht. Vielleicht auch, weil sich der oder die andere wiedererkennt…?

 

Neulich traf ich eine Milchbäuerin aus unserer Gegend und das erste was sie sagte war:  “Ich beneide Euch so, dass ihr den Entschluss gefasst, habt mit dem Milchvieh aufzuhören“.

Ich war erstaunt über diese Aussage, weil unsere Entscheidung, mit den Kühen aufzuhören, bisher bei Berufkollegen eher auf Unverständnis gestoßen war und hakte nach. Was nun kam, war ein Bericht über ihr Leben als Ehefrau eines überzeugten Milchviehhalters:

Sie kommt ursprünglich, wie heute viele Partnerinnen von Landwirten nicht aus der Landwirtschaft und hatte sich vor Jahren in einen Landwirt verliebt und sich von seiner Begeisterung für seinen Beruf anstecken lassen. Nachdem ein tierhaltender Landwirt ja auch stets in der Nähe seiner Tiere sein muss, hatte sie sich nach kurzer Zeit entschlossen zu ihm auf den Betrieb zu ziehen. Doch wohin? Er hatte vorgeschlagen einfach in die Wohnung seiner Eltern mit einzuziehen und die ehemaligen Zimmer seiner Geschwister gemeinsam mit seinen Eltern zu nutzen. Für ihn kein Problem – für sie schon. Sie konnte sich von Anfang an nicht vorstellen, dass das Großfamilienidyll, bei dem alle Generation unmittelbar zusammenleben, auf Dauer funktioniert. Auf ihr Drängen hin zog das Paar schließlich in die kleine Einliegerwohnung im Haus der Eltern, um wenigstens etwas Privatsphäre zu haben. Nachdem sie ein paar Jahre ihrem außerlandwirtschaftlichen Beruf nachgegangen war und zusätzlich auf dem Hof mitgeholfen hatte, kam das erste Kind und damit auch die Aufgabe des eigenen Berufes.

Nun hieß es: Du bist die Bäuerin, also bist du nun für alles mit verantwortlich und du passt dich unserem Betriebsleben an. Leider war das Verhältnis zu ihrer Schwiegermutter nicht besonders gut. Ihre Schwiegermutter hatte selbst unter der Lebensauffassung ihrer eigenen Schwiegermutter gelitten und wollte nun auch einmal in der Position sein, selbst ihre Vorstellungen weiterzugeben. Deswegen weigerte sie sich auch, während der Stallzeiten das Kind zu betreuen. So wurde es der Normalfall, dass die Bäuerin mit dem Kind früh morgens und abends zum Melken und Kälber versorgen in den Stall ging. Zunächst ging das mit Hilfe eines Tragetuches und später eines Kinderwagens ganz gut, als das Kind sich aber zunehmend bewegen und beschäftigt werden wollte, stieg der Stresspegel bei allen Beteiligten enorm. An 365 Tagen im Jahr musste folglich zweimal am Tag zuerst die Tiere versorgt werden, bevor man sich wieder mit dem Kind beschäftigen konnte. Dazu kam die Angst, dass das Kleine sich irgendwo im Stall in einem unbeobachteten Moment in Gefahr begeben könnte: Wie schnell klettert das Kind zu den Tieren hinein, wird von der Kopfbewegung einer Kuh versehentlich erwischt, wird getreten oder das Kind steht plötzlich vor dem Traktor mit dem großen Futtermischwagen… Es gibt so viele Gefahren auf einem Bauernhof und man kann seine Augen nicht überall gleichzeitig haben.

Zunehmend stieg in ihr der Wunsch auf, mehr Wert auf ihre eigene Familie zu legen und  mehr Zeit selbstbestimmt zu dritt zu verbringen. Ihr Mann wollte aber sein inniges Verhältnis zu seinen Eltern beibehalten. Nachdem ihr Mann, außer während seiner Ausbildung, den Hof nie für längere Zeit verlassen hatte, hatte er sich nie richtig von seinen Eltern abgenabelt. Es war schon immer so gewesen, dass man das werktägliche Mittagessen und das Frühstück am Sonntagmorgen gemeinsam verbracht hatte, und es war für Eltern wie Sohn unvorstellbar mit dieser Tradition zu brechen. So kam es immer häufiger zu Konflikten: Lebensmittel einkaufen, ohne zu schauen, was der eigene Gemüsegarten hergibt? Kaffeekränzchen mit den Freundinnen, mitten unter der Woche, während der besten Arbeitszeit nachmittags im Garten? Eine Woche Urlaub fernab vom Betrieb? Andere, arbeitssparende und effizientere Abläufe beim Melken und der Kälberversorgung? Schwierig, darüber zu reden.

Die Büroarbeit lag weitgehend in ihren Händen und damit auch der Überblick über die finanzielle Situation auf dem Betrieb. Es gab aber für alle Ausgaben auf dem Betrieb nur ein einziges Konto. Private und betriebliche Ausgaben, die Ausgaben der kleinen Familie und die Ausgaben der Altenteiler, alles war eins. Kam das Milchgeld, war Geld für allerlei Ausgaben da. Sie merkte in der letzten Zeit, dass es immer länger dauerte, bis sie die Rechnungen für den Lohnunternehmer, das Kraftfutter, den Tierarzt und den Klauenschneider bezahlen konnte und war froh, dass außer Zahlungserinnerungen keine weiteren Mahnungen oder gar Mahnbescheide ins Haus flatterten. Einen Jahresabschluss gab es zwar, aber der lag unbeachtet in der Schublade. Sie war sich dessen bewusst, dass es da Rechnungen gab, die man schon längst hätte bezahlen sollen. Sie hatte vorsichtig versucht, das Thema mit ihrem Mann zu besprechen. Leider ohne Erfolg. Für ihn war es unvorstellbar mit der Familientradition zu brechen, den Milchviehbetrieb aufzugeben und damit seine und die Erwartungen seiner Eltern zu enttäuschen.

Sie selbst hätte sich gut vorstellen können, das Familieneinkommen mit weniger Arbeit und Verpflichtung zu erwirtschaften und hätte auch selbst wieder in ihrem alten Beruf arbeiten können und wollen. Ihr Mann hätte als Landwirt sicher auch außerhalb des eigenen Betriebes einen Job gefunden und die eigene Fläche hätte man verpachten können.  Hätte man…

Aber so wird – wieder einmal – eine Entscheidung aufgeschoben. Und ich verstehe, warum meine Nachbarin mir sagt: “Ich beneide Euch so…“

Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig. Sollte sich jemand – sei es auch nur teilweise – wiedererkennen, ist das lediglich ein Beweis dafür, dass in diesem, aus meinen und den Erfahrungen von mir bekannten Bäuerinnen zusammengestellten Bericht viel Lebenswahrheit steckt!

Eure Palla

 

 

 

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33 Kommentare

  1. Markus sagt

    In Palla ihrem Bericht finden sich viele wieder..Männlein wie weiblein.
    Man weiss durch Palla vorigen Bericht wie schwer ihr es auch gefallen ist aufzuhören…. Ja eine solche Entscheidung brauch Zeit und Überwindung…und kostet bis dahin viel Nerven ….
    Was mich nachdenklich macht war ein Bericht in der regionalen Bauern Zeitung wo das Thema Schweinehaltung war und dort grob zusamnengefasst es so dargestellt wurde wachsen unter tausend Plätzen nur bedingt da wenn es finanziell schief geht sich kein Investor mehr für den Bau etc findet.

    Ist das diecZukunft. Ein Investor….

  2. Uli49 sagt

    Wie heißt es so schön:
    „Drum prüfe wer sich ewig bindet…“
    Das Problem ist doch nicht die Landwirtschaft, sondern es liegt daran, daß die Frau einen kleinen Jungen geheiratet hat, der noch am Rockzipfel der Eltern hängt und nicht erwachsen wird. Wenn die Eheleute wie ein richtiges Paar gemeinsam an einem Strang ziehen würden, dann hätten sie auch eine Chance. Wenn der Mann noch nicht einmal mit seiner Frau den Jahresabschluß zusammen durcharbeitet, dann muß das schief gehen. Das wäre in einem Handwerksbetrieb nicht anders.
    Grüße Uli

    • alexis zsipras sagt

      Uli, die hängen schon noch mehr voneinander ab, als ein Handwerksbetrieb. Der kann mal was beiseite legen, das kann man in der Tierhaltung nicht! Das zehrende ist die Länge der Beanspruchung, das können sich Außenstehende nicht vorstellen. Das über Jahre und Jahrzehnte.

  3. fleckviehzüchter sagt

    Liebe Palla,

    ich beneide euch nicht, im Gegenteil ihr tut mir unendlich leid. Denn wenn ich deine Berichte gelesen habe hatte ich immer das Gefühl eine überzeugte tierliebe Bäuerin vor mir zu haben. Aber nachdem auch ich diejenige bin die eingeheiratet hat, die die Finanzen managet und noch heute einer Tätigkeit ausserhalb der Landwirtschaft in Teilzeit nachgeht, weil ich Verrückte vor 15 Jahren beschlossen habe das mein Mann den Hof weiterführen kann obwohl er nach seiner landwirtschaftlichen Ausbildung auch noch eine ausserlandwirtschaftliche Lehre abgeschlossen hatte und darin mehr als zehn Jahre gearbeitet hat, kann ich mir vorstellen wie schwer euch der Entschluss gefallen sein muss. Wir drücken uns im Moment noch vor der Entscheidung weil wir beide so an unserem Vieh hängen und uns unsere Kinder (auch wenn Sie selbst den Hof nicht übernehmen wollen) unterstützen aber die Frage ist wie lange kann man sich bei der finanziellen Lage noch drücken. Mein Mann sagte immer was ist der Unterschied zwischen Hobby und Arbeit, mit Arbeit verdient man Geld und ein Hobby darf Geld kosten. Aber auf die Dauer ist so ein Bauernhof mit Milchvieh ein teures Hobby.

    • Palla sagt

      Liebe Fleckviehzüchterin,
      wir sollten dir nicht Leid tun. Ja, es fällt schwer so eine Entscheidung zu treffen, aber es ist eine bewusste Entscheidung und wir können gut damit leben. Zumal ich von unserem Milchviehberatungsdienst gehört habe, dass nun die ersten Betriebe im Beratungsdienst tatsächlich von der Bank zugemacht wurden, was ja bisher undenkbar war.

      Ja, ein Hobby darf Geld kosten. Aber wovon lebt ihr eigentlich? Pumpst du das Geld, das du außerlandwirtschaftlich verdienst in den Betrieb deines Mannes? Oder macht ihr, wie so viele derzeit eine Quersubventionierung durch einen anderen Betriebszweig? Wie lange geht das gut?

      Stell dir mal vor, wie viele Freiheiten du haben wirst, wenn du nicht mehr durch einen Milchviehstall angebunden bist. Von den vielleicht besseren finanziellen Möglichkeiten ganz zu schweigen. Und für die Tiere gibt es auch andere Betriebe in denen sie es gut haben werden. Wenn ein Milchviehbetrieb auffhört, heisst das ja nicht, dass die Tiere alle zum Schlachthof gehen! Es finden sich bestimmt ein oder zwei wachstumswillige Betriebe, die die Tier aufnehmen!

      Ich wünsche dir alles Gute und Mut zu eigenen Entscheidungen, wie immer die aussehen!
      Deine Palla

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