Bauer Willi
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“Predigt” zum Erntedank 2017

Ich bin von einer Bäuerin gebeten worden, ein paar Zeilen für den Erntedankgottesdienst zu schreiben. Den will sie dort vorlesen, als Anregung zum Nachdenken.  

Nein, ich bin kein Pastor und deshalb steht es mir auch nicht zu, zu predigen. Aber ein paar Gedanken zum Erntedankfest will ich doch loswerden.

Ich bin Bauer. Nicht nur mit Leib, sondern auch mit Seele. Und ich habe schon lange meinen Erntedank gefeiert. Das war Ende Juli, als wir den letzten Weizen vom Feld geholt haben. Der Ertrag war nicht so toll, wegen der Hitze und Trockenheit, aber ich war glücklich und habe dem Herrgott gedankt, dass es doch viel mehr geworden ist, als ich geglaubt habe. Bald werden wir Bauern wieder Erntedank feiern. Wenn die Kartoffeln geerntet sind. Und dann noch mal, wenn die Zuckerrüben in der Fabrik sind. Und zwischendurch bedanken wir uns noch für Äpfel, Birnen, Mirabellen, Pflaumen, Kopfsalat, Tomaten und Rotkohl. Manche bedanken sich sogar für Dicke Bohnen. Eigentlich feiern wir das ganze Jahr über Erntedank. Weil wir wissen, wer das alles hat wachsen lassen. Nicht wir Bauern, wir haben nur dabei geholfen.

Es gibt aber ein paar Bauern in unserer Gemeinde, die am Erntedankfest wehmütig werden. Weil sie keine Bauern mehr sind. Sie haben in den letzten Jahren ihren Betrieb aufgegeben. Warum? Sie hatten die Altersgrenze erreicht und hatten keinen, der den Betrieb weitermachen wollte. Warum? Weil der Betrieb zu klein war? Weil keiner die viele Arbeit machen wollte? Weil das Geld anderswo einfacher verdient wird? Weil die gesellschaftliche Anerkennung nicht mehr da ist?

„Was bist Du? Bauer? Dann vergiftest Du also auch unsere Umwelt. Also, ich bin ja der Meinung, dass das Glyphosat sofort verboten werden muss und das mit dem Nitrat im Grundwasser geht ja auch gar nicht. Und dann die Monokulturen und das Insektensterben. Ach ja, die Massentierhaltung habe ich noch vergessen. Ihr macht da Sachen. Euch sollte man viel schärfer kontrollieren, damit ihr nicht so viele Schweinereien macht. Und dann bekommt ihr ja auch noch Subventionen! Die sollte man übrigens gleich abschaffen. Das sind nämlich meine Steuergelder.“

Neulich ist mir ein kleines Gedicht aufgefallen. Es ist ein wenig grob, aber irgendwie fand ich das passend:

Der ratlose Bauer fragt sich doch heute, wie gesundheitsbewusst verhalten sich Leute,             Sie rauchen und saufen und mancher gar kifft, und suchen dann im Essen das Gift.

Ich kann die jungen Leute gut verstehen, die einfach keinen Bock mehr haben, sich die Vorwürfe unserer Mitbürger jeden Tag anzuhören oder in der Zeitung zu lesen. Die auf dem Feldweg blöd angeschaut werden, wenn sie mit der Spritze oder dem Düngerstreuer zum Feld fahren. Sollen sie sich dafür entschuldigen?

Wir Bauern werden also immer weniger. Dumm gelaufen, werden sie sagen, aber so ist der Lauf der Dinge. Da kann man halt nichts machen.

Und genau mit dieser Einstellung sorgen sie dafür, dass die Bauernhöfe immer weniger werden, die Agrarfabriken wachsen, die Massentierhaltung weiter zunimmt. Weil es vielen schlichtweg egal ist, woher Ihre Lebensmittel kommen. Hauptsache, bei Aldi und Co sind die Regale immer voll. Wenn es stimmen würde, dass überwiegend regional und saisonal eingekauft wird, müssten sich doch vor den Hofläden lange Schlangen bilden. Gut, bei Erdbeeren und Spargel kann das schon mal sein, aber die Masse kauft dann doch im Supermarkt und beim Discounter. Ist ja meist auch billiger.

Ja, ich weiß, auch Bauern kaufen beim Aldi ein. Und sägen damit an dem Ast, auf dem sie selber sitzen. Wir sind halt auch nicht konsequent. Wir müssen ja schließlich auch sparen. Sparen? Für was eigentlich? Diese Frage stellen wir uns alle eigentlich viel zu wenig. Gibt es etwas Wichtigeres als die Mittel zum Leben, also die Lebens-Mittel?

Jetzt ist doch eine Predigt draus geworden. Eine Gardinenpredigt. Um aber versöhnlich zu enden, möchte ich Ihnen einen Vorschlag machen: Wenn die Kollekte eingesammelt wird, werfen Sie doch den Betrag, den Sie im gesamten letzten Jahr bei Lebensmittel gespart haben, in den Klingelbeutel! Ich bin gespannt, was da zusammenkommt….

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27 Kommentare

  1. Paulus sagt

    Auch wenn große Teile von Willis Predigt meine Zustimmung finden, müsste es mir im Umkehrschluss gestattet sein dem Klingelbeutel etwas zu entnehmen. Nämlich das, was ich in Hofläden, in Relation zu den Preisen des normalen LEHs (nicht Aldi und Co) zu viel bezahlt habe. Dazu müsste ich mich aber schon in der hinteren Kirchenbank bzw. am Ende einer sehr ertragreichen Kollekte befinden.
    Mensch Willi, es gibt eine große Anzahl von Mitbürgern die tatsächlich sparsam leben müssen, sowie jene die auch mit einem sogen. höheren Einkommen schlicht und ergreifend sinnvoll haushalten.
    Ich verstehe nicht warum diese von gewisser Seite immer wieder auf die übliche subtile Art und Weise diskreditiert werden. Diese ewig gleiche Arie mag doch schon keiner mehr hören. Wenn ich aus welchen Gründen auch immer im Hofladen kaufe, vermute ich mal, dass ich im bäuerlichen Sinne zu den Guten gehöre. Im wirtschaftlichen Sinn könnte man das allerdings auch mit Attributen wie schwachsinnig oder dekadent oder versnobt oder zu viel Geld oder ähnlich versehen. Habe ich übrigens alles schon mal gehört.

    Die Geschäftsidee Hofladen hat einen gravierenden Nachteil. Die Verbraucher können darauf verzichten. In den Supermarkt müssen sie wegen anderer Artikel des täglichen Bedarfs ja eh noch und dort gibt es alles. Ansonsten siehe Kommentar von Thea S.

    • Ich habe samstags um die Ecke einen Markt, wo ich Brötchen für den Tag und Obst und Gemüse für ein paar weitere Tage kaufe. Nicht aus “ideologischen” Gründen, sondern weil ich, vom Sport kommend, nicht verschwitzt in einen Laden gehen muss. Und es hat ja auch was und ist eine Variation in der Beschaffung. Überhaupt ist es sinnvoll, wenn der Bauer in die Stadt kommt, weil es Wege für die Kunden verkürzt. So, und jetzt zur Wahl.

      • Na, diesmal wird ganz unten das Kreuz gemacht … aber die Stimme zählt ja dann hoch drei … also eins hoch drei…

        • Nein, Partei bibeltreuer Christen. Aber nur weil heute Sonntag ist. Mitglied bin ich in der FDP, da darf man auch vegan essen und sich ebenso kleiden.

        • Strike. FDP 10 % und Jamaika. Die Landwirtschaft ist bei den Grünen besser aufgehoben als bei Union und FDP, und dieses Ressort dürften ja wohl die Grünen bekommen. Ist doch besser als eine V-Partei, die im Parlament für Veganismus quäkt. 😉 Das könnte ihm nur schaden. Gut auch die Entscheidung des SPD-Vorstands (Opposition). Gut gegen die AfD, meine ich vor allem.

    • Bauer Willi sagt

      @Paulus
      ich kann die ewig gleiche Arie von den 80 Millionen Niedriglohnempfängern nicht mehr hören. Und damit man mich nicht missversteht: Ich habe oben geschrieben, dass die Aussage, dass ja überwiegend regional und saisonal eingekauft wird, stimmen würde, sich dann Schlangen vor den Hofläden bilden müssten. Ist aber nicht so.
      Mir geht das Anspruchsdenken meiner Mitbürger und die Lügerei in den Umfragen so was von auf den Senkel. Da ist mir die Aussage eines Kunden doch schon lieber, der ganz ehrlich sagt: “Warum soll ich denn mehr bezahlen, wenn ich es auch billiger bekommen kann”. Mag auch sein, dass das Geschäftsmodell des Hofladens Nachteile hat, weil er nicht das Sortiment eines Supermarktes bieten kann. Ist ja auch logisch.
      Deine Logik, sich aus dem Klingelbeutel wieder was herauszunehmen finde ich echt krass…
      Bauer Willi

      • Paulus sagt

        @Willi,
        ich folgte nur den Aussagen Deiner wohlverstandenen Predigt mit meinem logischen Verständnis.
        Mein Gott, wir kaufen doch nach Möglichkeit in Hofläden und haben uns noch nie über die Preise beklagt. Und trotzdem wird man hier in den Arsch getreten sobald man eine kritische Anmerkung macht.
        Im Übrigen glaube ich nicht, dass ich mich missverständlich ausgedrückt hab.

      • Stadtmensch sagt

        Bauer Willi, ich weiß gar nicht was sie sich so aufregen. Die Endverbraucher sind komplett an den Markt angepasste Individuen. Sie treffen “marktwirtschaftliche” (nicht etwa ökonomische (von oikos)) Kaufentscheidungen. Ihr habt heute sicher wieder alle euer Kreuz bei den Hohepriestern der Marktwirtschaft gemacht. Wir wissen doch alle seit Calvin, wer für das “Himmelreich” prädestiniert ist. Jedenfalls nicht jene, die unter martwirtschaftlichen “Sachzwängen” zu leiden haben. Vielleicht geht es euch irgendwann besser, wenn ihr erst vom Glauben abgefallen seid, aber das sehe ich momentan nicht. Vielleicht müsst ihr vorher auch euren Glauben und seine vielen 180 Grad Wendungen kennenlernen. Dabei kann euch sicher der selbsternannte Apostel Paulus helfen. Schon damals der echte Paulus bzw. Schaul aus Tarsos hat sich selbst als Apostel Jesu ernannt und dessen Lehren in den Dreck getreten. “Wahrheit” ist eben, was sich durchsetzt.

  2. Friedrich sagt

    Besser könnte ein Pastor zum Erntedank auch nicht sprechen. Leider fehlt heute unseren Pastoren der bezug zum Erntedankfest. Da wird oft geschwafelt.

    • Jeder Pastor weiß aber, dass wir Bauern die Handlanger Gottes sind, oder?

      So wie die Blumen in der Erde wachsen, so wachsen auch die Erntefrüchte für unserer Ernährung in der Erde!

  3. Erntedank heißt für mich Ernteverstand. Wenn irgendwo festgestellt wird, dass der Nitrateintrag zu hoch ist, sollte mit allen Mitteln dagegen gesteuert werden. Wenn der Ackerboden einseitige Düngverhältnisse aufweist, sollten die Ursachen ermittelt und mit allen Mitteln ein Ausgleich stattfinden. Wenn die Ackerkrume abnimmt muss etwas gegen Erosion unternommen werden. Das alles und noch viel mehr ist u.a. die Arbeit der Bauern. Denen werde ich Danken und Hochachtung für ihre Arbeit zollen. So wie ich Hochachtung für die Arbeit von Alois habe wenn er z.B. Kreuzkraut ausreißt und somit die Gesundheit seiner Rinder bedenkt.

    Der “Herrgott” wird da gar nichts richten. Irgendeiner nicht deffinierbaren Macht zu Danken ist mir fern.

    Das alles ist Menschenwerk und je nach Auswirkung und Einstellung zu ihrem “Tageswerk” Danke ich. Demut habe ich für unseren Planeten “Erde” die uns überhaupt die Möglichkeit der Existenz gibt mit Atmosphäre, Sonne, Regen , Ackerboden und allem was wir brauchen.

    Schwanzgestutzte Schweine ohne Tageslicht mit 6.- Gewinn für den Landwirt, Fleisch und Eier aus Hühnerherden mit 10 Tausend Individuen, Lebensmittel mit noch so geringen Pestizidrückständen – als wäre das schon normal – brauch und will ich persönlich nicht.
    Da bekomm ich fast schon einen “heiligen Zorn” wenn die Kirche und das Bimbamborium für die Legitimation des Unrechts auch noch herangezogen werden soll.

    WIR müssen es richten. Kein Herrgott, keine Kirche, kein St. Irgendwer.
    Noch glaube ich daran, dass die meisten Menschen es eigentlich “Richtig” machen möchten, doch Sachzwänge, sei es Arbeit, Zeit, Unverstand für komplexe Zusammenhänge, die schlichte “Aufschieberitis” und die Gier (!) ein ehrliches und adäquates Verhalten verhindern.

  4. Thea S sagt

    Nur wenige Tage nach dem “modernen Erntedank-Gebet” nun eine Predigt, in der u.a. wieder der Verbraucher kritisiert wird, weil er nicht direkt beim Bauern kauft. Es ist nicht vor allem wegen der Preise, sondern weil ich nicht nur die wenigen vom jeweiligen Bauern angebotenen Lebensmittel brauche, sondern auch andere, die ich dort nicht bekomme, und Haushaltsartikel. Und nur zum Herumgurken, um den einen oder anderen Bauern zu unterstützten, habe ich eigentlich auch keine Zeit oder Lust. Wenn ich daneben im Supermarkt wirklich spare, dann ist das für meine Familie mindestens so wichtig, wie für den Klingelbeutel. Auch wir Verbraucher leben nicht in Saus und Braus.

    Und doch bin ich den Bauern dankbar. Die Bauern in meiner Region und sogar aus unserem Ort beliefern auch meinen Supermarkt mit frischen Lebensmitteln, in der gleichen Qualität, die ich auch direkt auf dem Hof bekommen würde. Also sorge ich mit meinem Einkauf im Supermarkt auch dafür, daß der Bauer sein planbares Einkommen hat. Ob es mehr sein könnte, wenn ich direkt bei ihm einkaufe, weiß ich nicht; so wie der Bauer nicht weiß und es ihn vermutlich nicht kümmert, ob ich für meine Büroarbeit den für meine Familie ausreichenden Lohn bekomme.

    • Bauer Willi sagt

      Siehe meine Antwort auf Paulus. Es geht mir nicht um den Einkauf im Hofladen, sondern um die Scheinheiligkeit…Es findet halt jeder seine Entschuldigung um sein eigenes Verhalten nicht ändern zu müssen. Und genau deshalb wird die “Massentierhaltung” weitergehen und die Zahl der “bäuerlichen Familienbetriebe” weiter abnehmen. Einfach mal ehrlich sein und sagen: “Ich bin mir selbst der Nächste”.

      Mir muss niemand dankbar sein…Für mich ist Erntedank keine Folklore…Und alle, die so denken, sollen sich den Erntedank doch sonst wo hin stecken. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?
      Bauer Willi

  5. Altbauer Jochen sagt

    “Gibt es etwas wichtigeres als Lebensmittel”?
    Für viele Menschen scheinbar ja. Es ist ja so selbstverständlich geworden
    das immer ein “gedeckter Tisch” (oder ein gefüllter Kühlschrank)
    vorhanden ist.
    Wenn man in meinem Alter ist, erinnert man sich an andere Zeiten.
    Aber,- jetzt bloß nicht von “Früher” reden!
    Seien wir froh das uns um die Ernährung nicht bange sein muss !
    Der Dank für die Ernte gerät dabei ins Hintertreffen ,der Gedanke an den, der die Lebensmittel erzeugt ebenso.
    Zumindest sorgen sich wenige um den Fortbestand der Bauern,
    gleichzeitig ereifert man sich in Kritik an Arbeits-und Wirtschaftsweise.
    Auch der Bauer muss sparen, effizient arbeiten, “ranklotzen”
    und am Ende hoffen das der Wettergott und der Markt “gnädig” sind.
    Und für die Kollekte kann er ja etwas vom letzten Liquiditätsdarlehen
    in den Klingelbeutel werfen.

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