Bauer Willi
Kommentare 76

Deutungshoheit…

Nach der sehr intensiven Diskussion am Wochenende habe ich mich gefragt: Wer darf eigentlich mitreden? Wer macht Meinung? Ein schwieriges Thema, nicht nur bei agrarischen Themen. Hier meine Gedankensplitter.

Der mündige Bürger

“Es ist alles ganz furchtbar. So wie heute Landwirtschaft betrieben wird, kann es nicht weitergehen. Massentierhaltung, Nitrat, Glyphosat, Antibiotika, alles ganz furchtbar und gehört abgeschafft.” Und das möglichst sofort. Schließlich ist der Bürger der Souverän und was er will ist Gesetz. Wenn alles so liefe, wie er es wollte, wäre die Welt in Ordnung. Er hat die Deutungshoheit. Punkt. Ende. Aus.

Die Bauern

“Die sollen sich doch raushalten, die haben doch alle keine Ahnung”. So oder ähnlich lauten die Kommentare, wenn wieder einmal ein kritisches Thema aufkommt und von bäuerlicher Seite zerlegt wird. Da wird gefordert, dass sich diejenigen, die sich äußern, doch bitte erst einmal selbst auf dem Hof gearbeitet haben müssten, sie von der Realität keine Ahnung hätten, nur vom Schreibtisch aus entscheiden würden und es am besten wieder eine Hungernot geben müsste. Reflexartig wird in alle Richtungen gekeilt, auf “die” Politiker, “die” Journalisten, “die” Medien ganz allgemein und überhaupt. Und schnell ist klar: die wirklichen und echten Experten, die  wirklich mitreden dürfen, die wissen was richtig und falsch ist, sind sie, die Bauern. Sie haben die Deutungshoheit und kein anderer. Wenn alles so liefe, wie sie das gerne hätten, wäre die Welt in Ordnung. Punkt, Ende, Aus.

Die Experten

Jeder Bauer, der in seinem Leben mit Flurbereinigungen, Straßenbauten, Bahntrassen, Verlegungen von Gas, Wasser, Kanal, Strom, Telefon etc. zu tun hatte, wird über einschneidende Erlebnisse berichten können, wenn er auf die mindestens 25 Experten stößt, die bei jeder einzelnen solcher Verhandlungen dabei sind. Diese Erlebnisse  bestehen sehr oft darin, dass die von Bauern geäußerten Hinweise, Bedenken, Anregungen, Infragestellungen, etc. meist mit einem überheblichen Lächeln oder entsprechenden (moderaten oder deftigen) Verweisen auf den Bildungsgrad der Anwesenden abgetan werden. “Hören Sie mal, ich habe das studiert! Meinen Sie wirklich, Sie könnten da mitreden? Halten Sie sich da mal schön raus.” Denn die Experten wissen, was richtig und was falsch ist. Sie haben die Deutungshoheit und kein anderer. Wenn alles so liefe, wie sie das wollen, wäre die Welt in Ordnung. Punkt, Ende, Aus.

Die Politik

“Ihr habt ja alle irgendwie recht. Aber es geht ja auch nicht, dass jeder seinen Senf dazu gibt.” Die Deutungshoheit müsst ihr schon uns überlassen, denn wir machen ja schließlich die Gesetze und da nehmen wir schon für uns in Anspruch, dass wir die Deutungshoheit behalten. Wo käme man denn da sonst hin. Also, eines sollte schon klar sein: Wir haben die Deutungshoheit und kein anderer. Und weil alles so läuft, wie wir das für richtig halten, ist die Welt in Ordnung. Punkt, Ende, Aus.

Irgendwie eine verfahrene Situation. Keiner will die Deutungshoheit abgeben. Aber kaum einer redet mit dem Anderen. Jeder bleibt auf seiner Position. Mikado eben. Wer sich zuerst bewegt hat verloren, so die Meinung aller. Da scheint mir das Problem zu liegen. Dialog ist schwierig, aber ohne wird es wohl nichts werden mit Lösungen. Wer hat eine Idee? Wie bekommt man alle an einen Tisch? Und wird das was bringen?

Wir können ja auch auf eine neue Regierung warten. Aber da sieht es im Moment auch sehr nach Mikado aus… 

Euer Bauer Willi

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76 Kommentare

  1. Astrid sagt

    Bauern vergessen, scheint mir, dass sie selbst auch Bürgerinnen sind.
    Alle wollen nichts ändern. Da sind wir uns einig,
    Ohne Veränderung aber keine Entwicklung.

    • Ehemaliger Landwirt sagt

      Ächt? Man sieht uns inzwischen wieder als Bürger dieses Landes an?
      Ich auf jeden Fall, sehe mich nicht als Bürgerin an, so eine Veränderung strebe ich nicht an.😂

  2. Wer die Meinung macht, hängt vom jeweiligen Medium ab. In Platos Griechenland war das die Rede, der Brief, die Debattierschule. Die altgriechische Sprache war logisch aufgebaut, stringent im Ausdruck. Sachverhalte konnten sprachlich klar strukturiert werden. Damals machten kluge Leute wie Philosophen die Meinung.

    Im Zeitalter von Radio, Fernsehen und Nachrichtenmagazinen wurden die reichen Leute zu den Meinungsmachern. Sie kauften die Sender und die Magazine auf und bildeten regelrechte Medienkartelle. Das gilt zum Teil heute immer noch.

    Im Zeitalter von social media werden Populisten zu den Meinungsmachern. Nicht nur Sachverhalte, auch der sprachliche Ausdruck werden massiv vereinfacht, logische Strukturen lösen sich auf, Bilder und Emoticons ersetzen Inhalte und verhindern die sachliche Auseinandersetzung.

  3. Berthold Lauer sagt

    Liebe Frau Dittmar, natürlich dürfen alle mitreden! Aber bitte auch wir Bauern! Und natürlich dürfen alle eine eigene Meinung haben! Aber bitte auch wir Bauern zu unserem ureigenen Metier! In vorhergehenden Kommentaren haben sie Willi die Kompetenz abgesprochen, das Biotop in Krefeld ohne Begleitung studierter Biologen in Augenschein zu nehmen bzw. seine Beurteilung öffentlich kundzutun, weil ihm naturschutzfachliche Kenntnisse fehlen würden. Kann das sein?
    Passend zum Thema Deutungshoheit mein Vorschlag:
    Bewertung von Naturschutzflächen nur nach naturschutzfachlichen Kriterien, die Deutungshoheit liegt ausschließlich bei ausgebildeten Naturkundlern (studierten, wie sie selbst reklamiert haben).
    Bewertung landwirtschaftlicher Nutzflächen und landwirtschaftlicher Nutztierhaltung nur nach landwirtschaftlich-fachlichen Kritierien, die Deutungshoheit liegt ausschließlich bei fachlich gut ausgebildeten Landwirten (dürfen auch studiert haben).
    Damit hätten wir doch schon mal einen Großteil des Konfliktpotentials vom Tisch und ich kenne keinen Landwirt, der damit nicht leben könnte. Ok. Ich kenne aber auch keinen Naturschützer, der damit leben könnte.

  4. Ehemaliger Landwirt sagt

    Liebe Frau Dittmar, mtreden dürfen und meinen, jeder muss seinen Senf dazu geben, da ist ein gewaltiger unerschied dazwischen.
    An der Ladenkasse wird abgestimmt.

  5. Paulus sagt

    Ein Problem scheint mir zu sein, dass eine Deutungshoheit, nicht nur im Extremfall ohne valides/objektives Faktenwissen entstehen, bzw. zumindest beansprucht werden kann. Es reicht ggf. ein heftiges Rauschen in den (beeinflussbaren) Medien zu erzeugen.
    Dabei spielt es nicht unbedingt eine Rolle ob moralische, naturwissenschaftliche oder wirtschaftliche Deutungen im Vordergrund stehen. Das Alles wird häufig irgendwie durcheinander gequast und vermengt. Was soll dabei schon herauskommen?
    Wäre logisches Schlussfolgern nicht so eine scheinbar unendlich schwierige Disziplin,
    würde in vielen Debatten weniger leeres Stroh gedroschen oder sie würden erst gar nicht stattfinden.

    Als klassisches Beispiel dient z.B. auch heute noch GP mit Brent Spar. Das war schlicht und ergreifend kollektiv mediales Versagen, und zwar weltweit, nicht mehr und nicht weniger!

    Am Beispiel unserer zweifelsfrei erforderlichen, allerdings aus dem Ruder gelaufenen Energiewende kann man das Dilemma ganz gut erkennen. Wenn Politiker*innen mit abgebrochenem Theologiestudium statt Ings. die Deutungshoheit erlangen wird es schwierig. Ich verlasse mich auf die Letztgenannten und darauf, dass am Ende der unausweichliche Weg der Vernunft beschritten wird.
    Insofern stimme ich der Empfehlung des AdT (w.u.) ungern zu und bitte darum für mich mit zu beten.

    Was die LW betrifft sollte auch Willi zu der Einsicht gekommen sein, dass man die Deutungshoheit vorwiegend aufgrund eigener Versäumnisse verloren hat, bzw. droht zu verlieren. Da halte ich irgendwelche Ressentiments gegenüber Dritten eher für unangebracht.

  6. Altbauer Jochen sagt

    Ich gehöre nicht zu denen die auf dem Niveau von
    Bauer Willi “mitreden” können.
    Es geht dann eben um- meine- Meinung nach bestem Wissen
    (und Gewissen )
    Wenn man die Diskussionen hier verfolgt steht doch oft
    Emotion gegen Sachlichkeit, Glauben gegen Wissen,
    Ideologie gegen Erforschung -jeder halt nach seiner eigenen
    Deutungshoheit !
    Das Leben ist kein Mikado Spiel sondern ein Bauwerk.
    Man braucht ein Fundament und Bausteine.
    Für jedes Gewerk gibt es Fachleute die ihr Handwerk verstehen.
    Da kann nicht jeder kommen um daran “herumzudeuteln”
    was der andere in seinem Beruf doch anders machen sollte
    Es gibt aber überall “Architekten” die sich als
    Experten sehen und i h r e Deutungshoheit verkünden wollen.

    • Bauer Willi sagt

      Erinnert mich irgendwie an die Leverkusener Brücke. Für LKW gesperrt, weil die Tragfähigkeit nicht gewährleistet werden kann. Gutes Beispiel mit dem Bauwerk und den Architekten…Danke
      Bauer Willi

  7. Friedrich sagt

    Gerade bei unserer Stadtverwaltung habe ich das schon häufiger erlebt , daß junge Leute ,gerade von der UNI gekommen , sehr selbstherrlich auftreten. Das höre ich mir dann erst einmal an und bitte um einen Vororttermin. Spätestens beim Vieraugengespräch und am Objekt , um das es geht , kommt man sich näher. Persönliche Ansprache und Vertrauen bringen alle Seiten fast immer weiter. Es darf keiner den Eindruck haben über den Tisch gezogen zu werden, dann gehts schief. Es gibt aber auch Unbelehrbare . Das sind die Schlimmsten, aber die sind immer so und bleiben auch nicht lange auf der Position. Zu den Unbelehrbaren gehören meistens auch unsere Grünen Politiker, die absolut beratungsresistent und ideologisch geprägt sind . An diesen Leuten läuft jedes sachliche Argument ab. Hier hilft in einer konkreten wirtschaftlichen Benachteiligung nur der Gang zum Rechtsanwalt.

  8. Bei der Sache bleiben, ruhig bleiben. Was kümmert es die deutsche Eiche, wenn sich ein Schwein dran reibt. Nicht persönlich werden (auch dann nicht, wenn es der andere tut). Nicht in allem eine Schuldzuweisung sehen, das wirkt komplexbeladen und ist passiv-aggressiv. Dann lieber aktiv-aggressiv, aber sparsam eingesetzt – eine deutsche Eiche ist kein Jakobskreuzkraut.

    Bei Bedarf das Gelassenheitsgebet beten, ist auch gut für Nichtgläubige: Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

    • sonnenblume sagt

      Einen Zettel mit dem letzten Absatz sollten sich alle unters Kopfkissen legen. In diese Gedanken sollte man auch die Individualität der Menschen einbeziehen.

  9. Thea S sagt

    Es ist noch komplizierter, da jeder dieser Gruppen, mündige Bürger, Bauern, Experten, Politik, ja nicht nur EINE Meinung vertreten, sondern auch innerhalb der Gruppen viele und oft sich widersprechende. Da kann man sich nur die verschiedenen Meinungen anhören, versuchen die Fakten selbst zu recherchieren oder den Fakten und Meinungen anderer vertrauen, und sich dann selbst eine Meinung bilden oder sich einer anschließen. Bei keinem der Themen Natur/Landwirtschaft/Ökonomie gibt es schließlich ein eindeutiges und reales “richtig” oder “falsch” (aber viele Meinungen dazu!!), sondern höchstens einen (Mehrheits??) Konsense wie man künftig vorgehen will.

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