Meine Nachbarin hat mich gebeten, ihr, so wie jedes Jahr, einen Text für den Erntedank-Gottesdienst zu schreiben. Habe ich, wie immer, gerne gemacht.
Es ist wieder soweit. Morgen feiern wir Erntedank, so wie jedes Jahr. Die Kirchen sind wieder festlich geschmückt, die Früchte des Feldes und der Gärten liegen um den Altar. Wobei in diesem Jahr manches davon bei REWE und ALDI gekauft wurde und aus Spanien stammt, weil es hier ja so trocken war und unsere Gärten nicht viel Brauchbares hergegeben haben, wenn wir nicht fleißig Gießkannen geschleppt haben.
Aber ansonsten war es ein schöner Sommer, die Sonne hat so viel geschienen wie selten. Wir konnten ins Freibad gehen oder, wenn man Bauer war, die Beregnung umstellen. Denn auch die sind so viel gelaufen wie in kaum einem Jahr zuvor. Wenn man denn eine Beregnung hatte. Ansonsten blieb nur hoffen und beten, dass der Regen kommt. Der dann oft genug trotzdem ausgeblieben ist.
Die Getreide- und Rapsernte war mäßig bis schlecht. Deutschland kann sich nicht mehr selbst versorgen, also werden wohl so um die 6 Mio. t Getreide und Mais importiert, das meiste davon aus Amerika. Das ist zwar gentechnisch verändert und mit Glyphosat behandelt, aber Amerika ist weit weg. Hauptsache, wir haben billiges Brot. Wobei die Bäcker ja schon Preiserhöhungen angekündigt haben, weil das Mehl einen halben Cent pro Brötchen teurer geworden ist.
Anders ist es bei Kartoffeln. Die werden wohl deutlich teurer werden. Und es wird eine nationale Katastrophe eintreten: Die Pommes sind nicht mehr so lang, wie wir es gewohnt waren. Auch bei Möhren wird wohl der Preis steigen und sie werden nicht mehr ganz so gerade sein. Weil sie in dem harten Boden um jeden Krümel herumgewachsen sind.
Tja, die Dürre: kaum ist es mal länger trocken als normal, schreien die Bauern gleich wieder nach Steuergeld. Dabei bekommen die ja jetzt schon so viele Subventionen, fahren dicke Trecker, killen die Insekten und verseuchen unser Grundwasser mit Nitrat. Und das die immer noch Glyphosat spritzen dürfen ist eine Unverschämtheit. Das liegt auch nur daran, dass sich unsere korrupten Politiker dem Diktat der Großkonzerne und der Agrarlobby beugen.
Übrigens soll das Rindfleisch billiger werden, weil die Bauern ihre Kühe schlachten müssen. Sie haben nämlich kein Futter mehr für ihre Tiere. Das ist doch mal eine gute Nachricht, dass das Rindfleisch billiger wird. Doch das die Reiterhöfe jetzt ihre Preise erhöhen geht gar nicht.
Ich bin mit der Landwirtschaft groß geworden. Vor zwanzig Jahren gab es solche Parolen noch nicht. Heute gehören sie zur Normalität. Beim Thema Essen erlaubt sich jeder ein Urteil über landwirtschaftliche Fachthemen und schimpft fleißig mit. Um sich dann umzudrehen um bei Aldi und Lidl preiswert einzukaufen.
Das Band zwischen Bauern und Bürgern ist zerrissen. Und schuld daran sind die Bauern. Unter dem Preisdiktat des Lebensmittelhandels und immer mehr Auflagen haben viele Betriebe aufgehört, sie sind gewichen. Andere sind dafür größer geworden, sie sind gewachsen. Um über die Runden zu kommen, sind auch die Ställe mitgewachsen. Da stehen dann mal gerne 1000 oder 2000 Schweine drin. Massentierhaltung eben. So bleibt das Fleisch weiter billig. In Umfragen kaufen zwar alle nur Bio, aber von dieser Aussage bleibt an der Scannerkasse im Supermarkt nicht mehr viel übrig.
Das Band zwischen Bauern und Bürgern ist zerrissen. Unsere Gesellschaft ist satt, mehr noch, sie ist mehr als satt. Die Menschen werden immer dicker und immer undankbarer. Sie kennen von allem den Preis, aber von nichts mehr den Wert. Darum wirft jeder Deutsche auch 60 kg Lebensmittel in die Mülltonne. Weil es nichts kostet und es ihm nichts mehr wert ist.
Ich weiß, das alles gilt für Sie, die dies heute hören, nicht zu. Sie kaufen bewusst ein und achten mehr auf die Qualität als auf den Preis. Sie gehen auch in den Hofladen. Sie sind dankbar, dass unsere Bauern sie mit hochwertigen Lebensmitteln versorgen.
„Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern“
Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Erntedank-Sonntag.
Der Text regt zum Nachdenken an. Das finde ich gut und auch passend. Gerade die Passage mit den weggeworfenen Lebensmitteln gefällt mir.
Für meinen Geschmack ein etwas launiger Text, wenn ich das mal vereinfacht so sagen darf. Die deutliche Herausstellung des Unterschieds zwischen Bauern und Bürgern finde ich immer wieder interessant. Die kommt merkwürdigerweise immer nur von einer, eher von Stolz geprägten Seite. Meine geschätzten Mitstreiter*innen, z.B. Inga und Friedrich setzen dem Ganzen ganz gerne mal die Krone auf.
Ich bin trotz erzkatholischer Erziehung und ebensolcher schulischen Ausbildung Atheist. Insofern danke ich keinem imaginären höheren Wesen für irgendwelche Ernteergebnisse, sondern bedanke mich bei denen, die es anhand ihrer Möglichkeiten und ihres Fachwissens, trotz widriger Umstände noch irgendwie hinbekommen haben. Eine tiefere Verbeugung gelingt mir nicht.
und „aufgrund“ ihres Fachwissens muss es heißen
Lieber Bauer Willi!
Ich kann mit dem Text auch nicht viel anfangen. Ein bisschen Ernteberichterstattung, ein bisschen Verbraucherschelte, ein bisschen bäuerliches Selbstmitleid, ein wenig Aufklärung zum Wachsen und Weichen. Als Rede im Erntedankgottesdienst eher nicht geeignet bzw. stark überarbeitungsbedürftig. Deshalb rate ich von einer entsprechenden Verwendung ab. Aber vielleicht haben Sie das Ganze ja auch nur als „Futter“ für mögliche Diskutanten geschrieben?
Das Band zwischen Bürgern und Bauern ist zerrissen…
Gab es das überhaupt, in welcher Form und wenn ja, bis wann? Wann hat die Entfremdung begonnen? Was waren die auslösenden Momente?
Alle gesellschaftlichen Entwicklungen sind mit einer gewissen Verzögerung auch in den bäuerlichen Familien festzustellen. Die Individualisierung und Entsolidarisierung fand und findet nicht nur innerhalb relativ homogener Gruppen statt sondern noch viel mehr zwischen den gesellschaftlichen Gruppen. Schade drum, aber der gesellschaftliche „Kitt“ ist gerade in D nicht besonders stark vorhanden.
paulus,kann ich verstehen,ich bin 2 jahre in PB zur schule gegangen.
Ja Paulus , seit es zu viel Menschen auf der Erde gibt, muss alles kultiviert werden, sogar der Anbau unserer Nahrungsmittel auf Grund und Boden eben Land !
Dafür braucht es Fachwissen und Know How, das nur die dafür spezielle Berufsgruppe und weil sie die Nahrungsmittel aus dem Boden, dem Land holen, nennt man ein Mitglied dieser Gruppe
LANDWIRT
Was haben die Landwirte mit Erntedank zu tun?
Vielleicht hat ein höheres Wesen den Menschen gezeigt, wie man die Mendelschen Gesetze anwendet und wie man mit was düngt.
Und die Kartoffel von Amerika hier holt und kultiviert.
Auch in der Kirche werden schöne Früchte ausgebreitet
und es wird von der Bewahrung der Schöpfung gepredigt.
Dabei ist die Arbeit der Bauern weniger im Blick
als die Gnade Gottes,- der uns ja alles schenkt.
Bei allem Respekt vor den Kirchenbesuchern,
-es fällt kein Manna vom Himmel .
Was uns ernährt sind immer auch die Früchte der Arbeit,
trotz Dürre und anderer Unwägbarkeiten.
Beim Erntedank gehört es Gedanken darüber zu Aachen, warum wir uns leisten können, 60kg pro Person der Ernte, die Gott für uns wachsen ließ, einfach wegzuschmeißen.
Das ist respektlos gegenüber unserem Schöpfer und seiner Natur.
Sind wir wirklich so gewissenlos?
Oder wollen wir uns dem Allmächtigen gleichstellen?
Wem macht das Spass?
Wem macht es Spass, die Ökologie leiden zu sehen?
Ist das modern?
Ja, wir Bauern gehen morgen in die Kirche und feiern Erntedank. Manch einem von uns fällt der Dank sehr schwer , weil das Futter fürs Vieh fehlt, oder die Bank uns im Nacken sitzt. Einige , so 20.000 – 30.000 Tausend Bauern werden nicht zur Kirche gehen , weil sie von der Dürre den letzten Tritt bekommen haben und aufhören werden. Trotz aller Dankbarkeit für das Erntejahr 2018 sind nahezu alle Bauern mit den Rahmenbedingungen nicht zufrieden. Über Jahre schlechte Preise, ständige Meckerei der Gesellschaft, ständig neue Vorschriften und Kontrollen haben uns mürbe gemacht. Jeder Bürger in Deutschland weis alles besser über die Landwirtschaft, als die Bauern selbst. Auch unsere Politiker mit dem Hofstaat der NGOs , den sogenannten Gutmenschen ,haben zum Niedergang eines ehemals stolzen Berufstandes beigetragen. Obwohl die Landwirtschaft Systemrelevant ist , kloppen alle zur Selbstbefriedigung und Ablenkung der wirklichen Probleme auf uns ein. – An Erntedank denken und Danken die wenigsten aus dieser Gruppe , weil man ja aus Kostengründen besser auf die Kirchensteuerzahlung verzichtet und dafür lieber einen Urlaub macht oder sich einen schöneren Wagen leistet. Wenn man gestern in die Nachrichten geschaut hat , dann kann man glauben , daß die Deutschen wirklich nur ein Problem haben , wie man einen freien Flieger in den Urlaub bekommen kann, denn das Fluggastaufkommen steigt rasant . Zu hause angekommen wird dann wieder über das Klima diskutiert und wie man die Bauern zu mehr Klimaschutz verpflichten kann. – Ja , unsere Gesellschaft tanzt wirklich , wie in früherer Zeit , ums „Goldene Kalb“. Kann nur hoffen , daß der Absturz nicht zu stark wird.
friedrich,
hier werden nach wie vor hohe pachtpreise gezahlt und maschinell aufgerüstet,was dem bürger/verbraucher nicht verborgen bleibt.
die jammerberichte seitens des verbandes in den hiesigen tageszeitungen werden nicht ernst genommen.
Es ist wirklich wahr was viele Menschen über Lebensmittel und deren Produktion wissen, ist einfach ein Trauerspiel…….. das Erntedankfest feiern sie heute vielerorts wie ein Oktoberfest und laufen in „unseren Trachen“ herum…..
Wir sind dieses Jahr das Erntepaar bei uns im Dorf ( das erste seit Jahren was aus der Landwirtschaft kommt ) und mußten zwischen durch die Feierlichkeiten verlassen um die Tiere zu versorgen…da bekommt man nur zu hören das könnt ihr doch später machen…..
Aber es ist auch irgendwie traurig das die Landwirte in unserer Gegend sich immer weniger ( und das schon seit vielen Jahren) an den Dorf Erntefesten beteiligen und sich und den Beruf zu präsentieren……Die Landjugend sieht das Gott sei Dank anders und macht mit…..
Es scheint Hopfen und Malz ist noch nicht verloren und auch dafür bin ich Dankbar…..
Schönes Erntefest euch allen
Gruß Klaus Weber
Ein echter Bauer kann mit den Leuten, die das Erntedankfest nur spielen und von Landwirtschaft keine Ahnung haben, nicht wirklich feiern.
Ja, beim Oktoberfest in jedem Ort ist ja wieder eine andere Wertschöpfung darin,
die Wirte und Bierhersteller verdienen gut und die Dirndlhersteller auch.
Haben die das deswegen populär gemacht?
Und wir äffen nach?
Die Ernte für Nahrungsmittel haben da weniger mit zu tun.
Ob man sich nicht so gerne Gedanken drüber macht, weil man schlechtes Gewissen hat, da nicht persönlich mitgeholfen hat, oder auch, weil man da weniger Ahnung von hat, oder sich schämt, davon keine Ahnung zu haben?
Aber satt will man doch werden.
Lieber Erntedankfest mit dem Oktoberfest spielen?
Lieber feste feiern als feste arbeiten!?!
Und hieran will man gar nicht denken:
https://www.br.de/nachricht/der-kampf-gegen-die-lebensmittelverschwendung-100.html