Bauer Willi
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Lieber ohne…frei von…

Auf etwas zu verzichten ist der neue Kult beim Essen, der neue Mainstream. Essen muss nicht mehr Spaß machen, Selbstkontrolle steht im Zentrum. Nur wer entsagt, ist wirklich rein. Essen wird somit zum sozialen Abzeichen, in gewisser Weise zur Ersatzreligion. Es ist die Lust, etwas nicht nötig zu haben, die die Nahrungsaufnahme zu einer fast kultischen Handlung macht. Da ist die Rede von Entschlackung (Schlacke ?) und Entgiftung (Gift ?) des Körpers.

Wir wählen unser Essen ja sehr bewusst aus und lesen selbstverständlich sämtliche Labels, die auf der Packung stehen. Doch der Griff nach Lebensmitteln, die » frei von « etwas sind, wird heutzutage in vielen Fällen nicht mehr durch ein gesundheitliches Problem bestimmt (ich entschuldige mich bei allen wirklich Betroffenen), sondern ist Ausdruck einer inneren Haltung. Manche Zeitgenossen finden es einfach schick, sich durch den Biss in eine fleischfreie Wurst oder einen cholesterinfreien Schokoriegel selbst zu optimieren und sich von dem gedankenlos vor sich hin schlemmenden Pöbel abzusetzen. Und eine große Supermarktkette greift dies prompt auf und bietet eine eigene Produktpalette unter der Marke » frei von « an. Cholesterinfrei, frei von Gluten, frei von Laktose und natürlich frei von Gentechnik. Zuckerreduziert, fettarm, light. Das muss doch gesund sein! Wenn doch nichts davon drin ist…

Getrieben vom Wunsch nach einem besseren, gesünderen Leben sind auch die Anhänger der Paläo-Ernährung. Doch hier ist es geradewegs umgekehrt: Deren Speiseplan sieht viel ( rohes ) Fleisch vor, Früchte der Saison und Fisch. Getreide und Milch gibt es nur ausnahmsweise. Halt genauso, wie sich unsere Vorfahren im Paläolithikum ernährt haben (sollen). Alt wurden die ja nicht, was aber auch am Säbelzahntiger liegen mag. Aufgrund fehlender Tierschutz-Organisationen haben die den Fressfeind dann einfach ausgerottet. Und das Mammut gleich mit.

In der Steinzeit haben unsere Vorfahren rund 6000 Kalorien verbraucht, denn der Mensch ist eigentlich von der Natur als Läufer konzipiert. In der afrikanischen Savanne musste er weite Strecken zurücklegen, um an seine Nahrung zu kommen, egal, ob es das Erlegen von Wild oder das Sammeln von Beeren und Wurzeln war. Im Mittelalter waren es dann noch 5000 Kalorien, heute reichen zum Leben je nach Alter, Geschlecht und Beruf 2500 bis 3000 Kalorien aus. Eigentlich leben wir nicht mehr artgerecht, und das in mehrfacher Hinsicht: Versorgte uns früher die 100-Personen-Sippe mit Nahrung, ist heute der Single-Haushalt zunehmend  Standard. Da wird das Essen immer mehr zur Nahrungsaufnahme und ist kein Treffpunkt mehr, bei dem auch soziale Kontakte stattfinden. Und mit der Bewegung ist es in der Regel für den Durchschnittsbürger dank öffentlichem Personen-Nahverkehr und Auto auch nicht mehr weit her. Es sei denn, wir Joggen wirklich oder benutzen das Fahrrad für den Weg zur Arbeitsstelle. An der wir dann wieder sitzen.

Vielleicht sollten wir besser auf all die Ernährungshypes und das ganze Verzichten verzichten und mal wieder den Wochenmarkt gehen und selber Kochen. Das wäre doch ein gesunder Anfang. Dann finden wir auch sicher eine Antwort darauf, wer wirklich etwas von den unzähligen Diäten, Kochshows, Nahrungsergänzungsmitteln und all den anderen Ernährungssäuen hat, die durchs Dorf getrieben werden.

Euer Bauer Willi

P.S.: Nachzulesen in “SAUEREI!” Wer es immer noch nicht gelesen hat…Link siehe rechts oben.

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15 Kommentare

  1. Zur beschriebenen Selbstoptimierung bzw. Selbstkasteiung in Sachen Ernährung gibt es in der Landwirtschaft eine Parallele, und zwar im Ackerbau.

    Hier in Willis Blog wurde schon mehrfach über High-Tech-Geräte (wie Drohnen) diskutiert, die den Acker überwachen und nur an den Stellen Nährstoffe und PSM ausbringen, wo die Pflanzen einen Bedarf signalisieren. Diese Entwicklung, die auch über neue Düngeverordnungen etabliert wird, läuft darauf hinaus, dass kein Gramm Dünger und kein Gramm PSM zuviel auf die Felder aufgebracht wird. Die Optimierung des Ackerbaus wird von den Bauern, so wie ich das hier verstanden habe, allgemein befürwortet.

    Wer für die Optimierung des Ackerbaus ist, kann doch eigentlich nichts gegen die Selbstoptimierung des Menschen in Sachen Ernährung haben. Was für den Halm auf dem Acker recht ist, sollte für den Menschen doch billig sein.

    Der Normierung des Ackerbaus entspricht die Normierung des Menschen. Aus jedem Halm durch Algorithmisierung das volle Wachstumspotenzial herauszuholen entspricht der Selbsoptimierung.

    https://fingerphilosoph.net/2017/04/02/der-normierte-weltbuerger/

    Ob paläo oder vegan: diese Diskussionen erinnern mich, wenn sie auf die Landwirtschaft übertragen werden, an die Diskussionen, ob Glyphosat nun nützlich oder schädlich ist. Setzt statt Glyphosat “Fleisch” ein, et voilà: dieselben Diskussionen.

    In Zeiten des Überflusses wird ein schlanker Körper als gesund und schön empfunden. In Zeiten des Mangels sind es die Rubens-Figuren, die für schön und gesund gehalten werden. In Zeiten des Kalten Krieges wird der Arnold-Schwarzenegger-Körper zum Vorbild. In Friedenszeiten gleichen männliche und weibliche Körper einander an.

    So gesehen, wirkt die Masttierhaltung schon wie ein Anachronismus. Die Rubens-Figuren der Masttiere gelten in Zeiten des Überflusses nicht mehr als gesund und schön bzw. als nicht länger “artgerecht”. Der Verbraucher will heute sportliche Schweine 🙂

    Die Optimierung des Ackerbaus wie die Selbstoptimierung des Menschen basieren auf der Vorstellung, dass Lebewesen berechenbare Algorithmen sind. Sowohl die Optimierung des Ackerbaus wie die Selbstoptimierung bei der Ernährung wird mit Hilfe von Wissenschaft und Technik bewerkstelligt, indem bspw. immer mehr Daten gesammelt und ausgewertet werden.
    Hinter beiden Entwicklungen steckt dieselbe Vertechnisierung des Lebendigen. Die Vertechnisierung und Veralgorithmisierung der Welt verbindet den Bauer und den bewussten Verbraucher. So what?

  2. AdT sagt

    Vor allem ist die Wissenschaftsferne bedenklich, z.B. bei Paläo. Warum nimmt man sich Urmenschen zu Vorbild? Einfach nur peinlich.

    Vegane Ernährung hingegen hat bei Beachtung bestimmter Dinge durchaus gesundheitliche Vorteile. Dass man aus gesundheitlicher Sicht nicht vollständig auf tierische Nahrungsmittel zu verzichten braucht, sollte einem auch klar sein. Der Rest ist eben für viele Ethik.

    Ich hatte mal die Positionen der großen Ernährungsgesellschaften exzerpiert. Die angloamerikanischen Gesellschaften sind nicht so risikofixiert wie die DGE; unten ist aber auch deren Position aufgeführt, die gar nicht so negativ ist, wenn man sie richtig liest:
    ———————–

    —> Dietiatians of Canada Healthy Eating Guidelines for Vegans (Nov 27, 2014):
    “A healthy vegan diet has many health benefits including lower rates of obesity, heart disease, high blood pressure, high blood cholesterol, type 2 diabetes and certain types of cancer.
    It may take planning to get enough protein, iron, zinc, calcium, vitamins D and B12 and omega-3 fats from foods or supplements. A healthy vegan diet can meet all your nutrient needs at any stage of life including when you are pregnant, breastfeeding or for older adults.”
    ———————–

    –> Academy of Nutrition and Dietetics (referred to by the USDA), Volume 116, Issue 12, Pages 1970-1980 (December 2016), Abstract:
    “It is the position of the Academy of Nutrition and Dietetics that appropriately planned vegetarian, including vegan, diets are healthful, nutritionally adequate and may provide health benefits for the prevention and treatment of certain diseases. These diets are appropriate for all stages of the life cycle, including pregnancy, lactation, infancy, childhood, adolescence, older adulthood and for athletes. Plant-based diets are more environmentally sustainable than diets rich in animal products because they use fewer natural resources and are associated with much less environmental damage. Vegetarians and vegans are at reduced risk of certain health conditions, including ischemic heart disease, type 2 diabetes, hypertension, certain types of cancer, and obesity. Low intake of saturated fat and high intakes of vegetables, fruits, whole grains, legumes, soy products, nuts, and seeds (all rich in fiber and phytochemicals) are characteristics of vegetarian and vegan diets that produce lower total and low-density lipoprotein cholesterol levels and better serum glucose control. These factors contribute to reduction of chronic disease. Vegans need reliable sources of vitamin B-12, such as fortified foods or supplements.”
    ———————–

    —> The Associations of UK Dietitians:
    “Well planned vegetarian diets can be nutritious and healthy. They are associated with lower risks of heart disease, high blood pressure, Type 2 diabetes, obesity, certain cancers and lower cholesterol levels. This could be because such diets are lower in saturated fat, contain fewer calories and more fibre and phytonutrients/phytochemicals (these can have protective properties) than non-vegetarian diets.”
    ———————–

    —> Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), FAQ, Ziffer 20:
    “In Beobachtungsstudien konnte gezeigt werden, dass eine hohe Zufuhr von ballaststoffreichen Getreideprodukten sowie Gemüse und Obst viele Krankheitsrisiken senkt (z. B. das Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes mellitus Typ 2) und ein hoher Anteil an rotem Fleisch und Fleischerzeugnissen in der Ernährung das Risiko z.B. für bestimmte Krebsarten, wie kolorektale Karzinome, erhöht. Vegetarische Ernährungsformen haben hinsichtlich der oben genannten Lebensmittel häufig eine günstigere Zusammensetzung als die in Deutschland übliche Mischkost in Bezug auf die Zufuhr von Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen und sekundären Pflanzenstoffen.”

    Die DGE stellt aber auch klar:
    “Anhand der aktuellen Datenlage lässt sich allerdings kein Vorteil für die Gesundheit von Vegetariern gegenüber sich vergleichbar ernährenden Mischköstlern mit einem geringen Fleischanteil [*] in der Ernährung erkennen.”
    *Was den geringen Fleischanteil betrifft, empfiehlt die DGE, nicht mehr als 300-600 g pro Woche und davon möglichst wenig Wurst und rotes Fleisch zu essen.

  3. Lina Lenhart sagt

    Sich “frei von” tierischem Leid zu ernähren kann nicht falsch sein! Und es ist doch traurig, wenn gerade ein grüner Berufsstand wie die Landwirte kein Verständnis für Tier- und Umweltschutz und vor allem eine große Portion Weitsicht mitbringen. Wir Normalverbraucher haben keine 100ha auf denen wir den Umweltschutz leben können, sondern nur unseren Konsum, mit dem wir weit mehr bewegen, als mit einem Kreuz auf den Stimmzetteln zur Bundestagswahl. Es ist ganz wunderbar durch einen einfachen Verzicht etwas zu verändern. Veganer in die Schublade “Ersatzprodukte-tierfrei, Packung auf” zu stecken ist doch nun schon sehr ausgelutscht…der größte Teil beschäftigt sich zudem mit Zero-Waste und regionalität seiner Lebensmittel.
    Ein Umdenken, auch in der landwirtschaftlichen “das war schon immer so”-Gesellschaft, ist wünschenswert und auch Landwirte sollten in die Zukunft blicken und mit der Entwicklung gehen, ansonsten weint nicht wieder, wenn Ihr auf der Strecke bleibt!

    • Bauer Willi sagt

      Liebe Frau Lenhart,
      ich kann nicht erkennen, wo ich etwas gegen Veganer gesagt habe. Der Begriff wird nicht einmal erwähnt und ich weiß nicht, warum Sie sich angesprochen fühlen.

      Es geht mir in dem Artikel um den gesamten Kult, der heute ums Essen gemacht wird. Wenn ich in den Supermarkt gehe, sind die meisten “frei-von”-Produkte verarbeitet. Wir haben Kochshows ohne Ende, aber der Ausser-Haus-Verzehr nimmt immer weiter zu. Regionalität verkommt zu einem billigen Marketing-Trick.

      Ein Beispiel: Unser Sohn verkauft am Hoftor Gemüse aus dem Garten. Selbstbedienung. Das ist sogar lokal und jeder kann sich ansehen, wo und wie es wächst. Ist richtig viel Handarbeit. Ab und an bleibt auch mal jemand interessiert stehen, aber gekauft wird fast nichts. Wohl schon mal was weggenommen, ohne Bezahlung. Unser Sohn schaut auch in die Zukunft…
      Bauer Willi

    • bauerhans sagt

      “Wir Normalverbraucher haben keine 100ha auf denen wir den Umweltschutz leben können, sondern nur unseren Konsum, mit dem wir weit mehr bewegen…”

      der normalverbraucher kauft billig und gut,ist also mit der konventionellen landwirtschaft einverstanden.
      abzulesen an den umsatzzahlen der supermärkte und discounter.

    • Ehemaliger Landwirt sagt

      >>Sich „frei von“ tierischem Leid zu ernähren kann nicht falsch sein! Und es ist doch traurig, wenn gerade ein grüner Berufsstand wie die Landwirte kein Verständnis für Tier- und Umweltschutz und vor allem eine große Portion Weitsicht mitbringen. Wir Normalverbraucher haben keine 100ha auf denen wir den Umweltschutz leben können,<<

      Warum unterstellen sie den Landwirten, dass sie kein Verständnis für Tier- und Umweltschutz haben? Gehören sie zu denen, die noch nie einen Stall von innen gesehen haben, aber trotzdem jede Gehässigkeit der Medien nachplappern?

      Umweltschutz kann jeder betreiben, dazu braucht es keine 100 Ha. Landbesitz. Fangen sie mal in ihrem Haushalt an.

      Landwirte blicken in die Zukunft, meine Söhne auch, deshalb zogen sie es vor, meinen Betrieb nicht zu übernehmen.

      • Inga sagt

        Ein Bauer muß mit der Natur leben!
        Wer will ihm das streitig machen? Ein Nichtlandwirt? Der sich profilieren will?

        Der Bauer hat ja auch viel Vorteile von der Natur!

        • Alois Wohlfahrt sagt

          Aha:
          > Ein Bauer muß mit der Natur leben!
          Aber was macht der moderne Bauer? Technik, Technik, Technik…

          • Inga sagt

            Ja, Alois,
            man kann das Getreide nicht mit einem Rübenroder ernten!
            Denn der Mähdrescher und auch der Rübenroder sind der natürlichen Pflanze angeglichen!

            Und die Pflanzenschutzmittel sind auch auf die Pflanzen abgestimmt und die optimale Menge auch!
            Sogar pfuglos ist ist im Sinne der Fruchtbarkeit, und somit auf Bodenlebewesen erprobt!
            Bodenlebewesen sind Natur und sie helfen den Boden fruchtbar zu halten!

            Sogar die Melkmaschine und ihre Melkzeuge sind auf die Euter der Kuh abgestimmt, um optimal zu melken, ohne das Euter (Natur) zu schaden!!
            Denn die Natur hilft uns in allen landw. Dingen!

            Sogar die Ackerrandstreifen werden angelegtl, um auf die Natur Rücksicht zu nehmen!
            Das fördert die Biodiversität!
            Und die brauchen wir, dass alles funktioniert!

            Wir ernten natürliche Dinge und das kann man nur mit der Anpassung auf ihrer Natur!

          • bauerhans sagt

            die kunst ist,die technik mit der natur,für die natur und zum nutzen des bauern zum wohl der verbraucher einzusetzen.
            oder so ähnlich.

    • Mark sagt

      @ L.L.
      Wohin sollen denn die Landwirte umdenken? Erklären Sie doch mal Ihren Weg. Täglich werden neue Forderungen des Umdenkens an die Landwirtschaft herangetragen, man wird schon ganz wirr im Kopf. Da wäre eine Präzisierung Ihrerseits sehr hilfreich.

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